Mein Facebook-Post

„Lieber“ Vergewaltiger, liebe Freunde !

Warum habe ich meine Vergewaltigung öffentlich geteilt?

Gerne könnt ihr hier meinen öffentlichen Post, welchen ich im September 2020 auf Instagram und Facebook gestellt habe, lesen. Jener war der Ursprung dieser Webpage. Ich wollte zum Thema sexuelle Gewalt nicht mehr schweigen. Der Post sollte aufzeigen, dass es hier in der Schweiz passiert und auf Missstände hinweisen. Mein Post sollte zum einen Menschen zum Thema Vergewaltigung und sexuelle Gewalt sensibilisieren. Zum anderen war es mir wichtig aufzuzeigen, dass du nicht allein bist. Dass es okay ist, wenn du entgegen allen anderen Stimmen deinen eigenen Weg gehst, in deinem Tempo, ob mit oder ohne Anzeige und dass du auf dich hörst und was dir gut tut. Ich möchte dir sagen, dass es nie deine Schuld war, auch wenn wir die uns teilweise geben. Ein Nein ist ein Nein und gilt zu respektieren. Und falls du dir doch eine Teilschuld gibst, ich kann dich verstehen… Jedoch habe ich mir dieses «Fehlverhalten» verziehen und das ist gut so.  Denn obwohl ich vergewaltigt wurde, liebe ich mein Leben. Auch wenn es die schlechten Tage gibt, an denen mich das Thema beschäftigt.

Wenn dich meine Gedanken und Erfahrungen mit der Polizei, meinem Umfeld, der Tat, … interessieren, lies gerne den Facebook Post
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Betroffene Personen können an das erlebte Trauma erinnert werden.

«Lieber» Vergewaltiger, liebe Freunde

Fünf Jahre ist es jetzt her, seit du mich im Vögeligärtli in Luzern vergewaltigt hast… Bis heute wurdest du nicht gefunden und läufst frei herum… Auch ich laufe frei herum und glaube mir es geht mir gut.

Ja, ich liebe mein Leben, doch an manchen Tagen geht’s mir richtig beschissen.

Ich habe mir von dir meinen sexuellen Selbstwert durch deine Tat so klein machen lassen, dass ich an den schlechten Tagen die Hoffnung aufgebe, dass es jemals wird, wie zuvor. Denn ich weiss beispielsweise nie, ob ich getriggert werde oder nicht. Bei dem, was eigentlich Spass machen sollte. Getriggert, und erinnert an die Tat während dem Blueballsfestival.

Bruchstücke davon weiss mein Bewusstsein noch, doch glaube mir, mein Körper und mein Unterbewusstsein haben sich alles gespeichert und reagieren – auch teilweise heute noch. Nein, ich möchte kein Mitleid- ich möchte dich erreichen und die Menschen sensibilisieren zum Thema sexueller Gewalt. Ich bin zwar dein Opfer, doch ich bin stark und du hast mich noch stärker gemacht.

Erst nach 2 Jahren, war ich wirklich bereit eine Anzeige bei der Polizei zu machen. Weisst du, wie oft ich bei meinem Umfeld auf Unverständnis gestossen bin, dass ich keine Anzeige machen möchte. Ich verstehe, dass die erste Reaktion ist: «Hast du eine Anzeige gemacht? – Warum nicht!?«– Doch sollte sie nicht eigentlich sein: «Danke für dein Vertrauen und deinen Mut mir das zu erzählen.

Was möchtest du von mir?
Wie kann ich dich unterstützen?


Soll ich dir einfach nur zuhören, soll ich dich in den Arm nehmen, dich zur Polizei begleiten oder irgendwelche Nummer raussuchen? Ich bin für dich da, wenn du das möchtest.» Denn diese Unterstützung kann helfen. Die Sache mit der Anzeige ist nämlich nicht einfach so quite easy… Ich musste seeehr viele Fragen beantworten zu der Tat, zu deinem Aussehen, zu der Zeitlänge, ect. Die meisten Fragen konnte ich nicht beantworten, weil mein Bewusstsein auf Blackout gestellt hat, als es passierte, um diesen Machtmissbrauch irgendwie auszuhalten. Es braucht einiges an Eigenstärke und Resilienz, diese Verfahren durchzustehen.

Ich bin der Meinung, es soll immer abgewogen werden, ist diese Person, welche mir dies erzählt, physisch und psychisch bereit zu der Anzeige und allem drumherum. Weisst du, wie dumm ich mir vorgekommen bin, dass ich diese Fragen teilweise nicht beantworten konnte. Wie ich das Unverständnis des Nicht-Wissens von der Polizistin geglaubt habe zu spüren. Wie ich selbst lange gezweifelt habe, ob das wirklich passiert ist. War es nicht bloss eine Affekt -Handlung? War ich nicht selbst schuld an diesem «Unfall»? Bis heute kann ich die komplette Schuld nicht bloss dir geben. Denn ich habe nicht geschrieen und war nicht in der Lage mich zu wehren.

«Ja Cindy, warum hast du nicht geschrieen?»
Wie oft ich dies gehört habe- und bääääm - Schuld wieder bei mir.
Doch liebe Leute, ich konnte mich nicht wehren, mein Körper war in einem Lähmzustand.

Er war erstarrt. Ich hatte keinen Notfallplan zu dem was dort passiert ist, obwohl ich körperlich stark bin. Ich habe es versucht und dir gesagt, «Hör auf, ich will das nicht. Sonst beisse ich dich.» Das wolltest du nicht hören und hast weitergemacht und zudem mit deinem Worten weiter deine Macht spielen lassen.
Clever war, dass, was du mir geantwortet hast: «Ja, mach nur, beisse mich, ich stehe drauf.» Denn damit hast du mir komplett den Wind aus den Segeln genommen… Ja, und laut loszuschreien, kam mir nicht in den Sinn. Wann habt ihr das letzte Mal komplett laut losgeschrieen? Und dann noch, wenn du erstarrt bist? Ich kann mir vorstellen, dass das schon eine Weile her ist oder noch nie stattgefunden hat.

Nun ja, die Schuld an meinem Fehlverhalten kann ich mir nicht nehmen- doch ich hab’s mir verziehen. Im Übrigen war ich auch nicht aufreizig gekleidet oder komplett betrunken. Ich hatte zwei Gläser Wein und war flirty an den Abend. Doch ich weigere mich dies als Mitschuld anzusehen. Denn egal welche Kleidung ich trage, egal wie betrunken oder flirty ich bin, das heisst noch lange nicht, dass ich will!

Ein Nein ist ein NEIN und egal zu welchem Zeitpunkt

Ich finde es ist zu respektieren. Weshalb ich der Meinung bin, dass nie die Schuld bei der Betroffenen Person, sondern bei dem Täter, gesucht werden soll. Denn ich möchte glauben, dass du, wenn du den Willen gehabt hättest, deine Lust oder deinen Drang beherrschen hättest können. Du nicht weiter zustossen, oder mir deine ekligen Worte an den Kopf hauen, hättest müssen- auch wenn ich nicht schrie.
Ich bin mir bewusst, dass die Grenzen von allen Geschlechtern nicht immer klar kommuniziert werden. Doch ein NEIN ist ein NEIN und kein, ach tu doch nicht so, sei nicht so verklemmt, ich will dich so sehr. Sondern Nein. Evtl. Nein, dies mache ich nicht, aber dazu wäre ich bereit. Dies sind meine Grenzen. Aber keine sexuelle Handlung, welche das Gegenüber nicht will, ist in Ordnung und das soll akzeptiert werden.

Zu dir zurück, bei unserem Rechtsystem herrscht ja die Unschuldsvermutung- was ich im Übrigen nicht nur schlecht finde. Diese Unschuldsvermutung erleichtert dir so einiges…Für mich als Betroffene jedoch war diese Unschuldsvermutung und die «kalte Juristensprache» nicht bloss einfach, sondern vielmehr auch mal eine Ohrfeige ins Gesicht, dass man mir nicht
Als dann aber auch noch die Kantonspolizei nach der Anzeige telefonisch angerufen hat, war absurd. Denn sie fragten mich einiges, auch ob ich den nicht wusste, dass meine Vergewaltigung bloss kurze Zeit vor jener in Emmenbrücke (Frau von Fahrrad gestossen - evtl. erinnerst du dich) stattfand und ob ich den keine Zusammenhänge gesehen hätte. -Was ich nicht tat, ich glaube, dies warst nicht du. – Um dann zu sagen, dass ich mitverantwortlich sei, dass andere Mädels vergewaltigt werden, weil ich die Anzeige erst 2 Jahre später gemacht habe und du so noch frei herumlaufen

«Sag mal geht’s noch. Gopferdammi, ich bin doch nicht verantwortlich, dass du und andere Menschen sexuell belästigst oder vergewaltigst.»

NEIN, ich habe bloss auf mich geschaut, wann ich ready bin für den ganzen Prozess. Wie gesagt, zuerst geht’s meiner Meinung nach immer danach, ob die Person die Anzeige, Konfrontation und alles was darauffolgt, auch handeln kann. Aber es zeigt mir, wie unsere Gesellschaft sozialisiert ist, dass noch so viel an Sensibilisierung geschehen muss. Spannend finde ich auch die Tatsache, dass, um die psychologischen Behandlungen zu bezahlen, dies in erster Linie über die Unfallversicherung finanziert wird. Vergewaltigung, ein Unfall… Was zudem bedeutet, dass man das Erlebte dem Arbeitgeber erzählen muss. Was ich jedoch finde, geht den nichts an. Denn es ist meine Intimsphäre, welche du verletzt hast.

Was mich auch öfters beschäftigt, ist dass in der Schweiz und EU ca. jede 20 Frau vergewaltigt wurde. 22 Prozent von 4500 der befragten Frauen der Schweiz haben ungewollte sexuelle Handlungen erlebt. 12 Prozent erlebten ungewollten Sex, was hochgerechnet der Anzahl Personen der Stadt Zürich entspricht. Weitere 8 Prozent haben sexuellen Handlungen zugestimmt, da sie Angst vor den Konsequenzen hatten. Zudem kenne ich Kinder, wie auch Männer, welche vergewaltigt wurden. Gemäss der Optimusstudie werden pro 10'000 Kinder in der Schweiz 19-31 sexuell missbraucht. Expertinnen schätzen, dass 20- 30 Prozent aller Kinder und Jugendlichen sexuelle Gewalt erleben. (Männer können in der Schweiz im Übrigen nicht vergewaltigt werden laut unseren Gesetzen…)

Da frage ich mich, warst das alles du? Oder wie kommen diese Zahlen zustande, wenn es nur Betroffene, aber wenig Tatpersonen gibt? Im Übrigen, nur 50 Prozent haben über den erlebten Vorfall mit jemandem gesprochen und dies erlebe ich immer wieder, dass Menschen sagen: «Cindy, mir ist dasselbe passiert und ich hab’s noch nie jemandem erzählt.».

UND da möchte ich ANSETZEN. Ich möchte gerne mein Herzensprojekt starten.

Als erstes eine niederschwellige Webpage mit Chatfunktion erstellen, damit Betroffene eine niederschwellige Wahl haben, sich zu melden und Unterstützung, sei es nur durch ein Offenes anonymes Chatohr. Doch ich kann das nicht alleine- da ich nicht weiss, wie man so was erstellt. Zudem würde ich gerne eine «Selbsthilfegruppe» in meiner Region gründen, damit man sich darüber austauschen kann und leider merkt, dass man nicht allein mit der Situation ist, auch bei uns nicht. Und im Idealfall würde ich gerne-einfach gesagt- Kurse für Schulen zum Thema Sexuelle Gewalt, Berührungen, Geheimnisse, Beziehungen, … ausarbeiten und anbieten, welche die Schulen kostengünstig/gratis bekommen und somit allen Kindern sensibilisiert werden können. Ideen wo man ansetzen knn, habe ich genügend. Ich bin aktuell an der Ausarbeitung der Konzeption und möchte mal einfach starten. Damit möglichst wenige dies erleben müssen, was ich gerade geschildert habe.

Also kennt ihr jemanden der eine Webpage erstellen kann? Der weiss, wo man Fördergelder für Konzeptionen beantragen kann? Jemanden, der jemanden kennt, und Interesse hätte in mein Herzensprojekt zu investieren. Jemanden der ein ähnliches Projekt schon gestartet hat? Allenfalls gibt es Projekte in Deutschland oder Österreich. Oder allenfalls habt ihr einfach selbst das Bedürfnis darüber zu sprechen oder Ideen- dann meldet euch bei mir. Ich hoffe auf Resonanz. Der Beitrag darf gerne geteilt werden.

Wenn es euch überfordert oder irritiert, dass ich euch das so öffentlich erzähle, und ihr gerne darüber diskutieren oder mich ansprechen möchtet, sei dies im Städlii oder wo auch immer, kommt einfach auf mich zu... Fände ich schöner, als nur hintenrum…
Und zu dir mein Vergewaltiger- falls du jemals diese Zeilen liest, dann möchte ich dir auch noch abschliessend sagen,

Du hast mich zwar zum Erstarren, Weinen, & Verzweifeln gebracht. Doch dadurch habe ich mich nochmals intensiver mit mir auseinandergesetzt,

durfte mich noch besser kennen und lieben lernen, habe Zugang zu der Energie Liebe gefunden und komme noch stärker aus der Ganzen Sache heraus, als davor. Ich habe durch die Auseinandersetzung für mich Einiges im Leben dazugewonnen. Was die Tat zwar nicht gerechtfertigt, doch ich möchte, dass du das weisst! Im Übrigen habe ich dir die Tat schon vor Jahren vergeben, doch ich hoffe aus tiefsten Herzen, dass dies das einzige Mal war und je sein wird.

#SexuelleGewalt #Herzensprojekt #esmusswaspassieren